Grotesk: Neonazis betten einen Shoahleugner auf ein jüdisches Grab



Szenebekannte Neonazis haben in Stahnsdorf den Shoahleugner Henry Hafenmayer beerdigt. Das Begräbnis wirft Fragen auf. Denn Hafenmayers Urne wurde in das historische Grab des deutsch-jüdischen Wissenschaftlers Max Friedlaender gebettet.

Shoahleugner unter sich: Horst Mahler zeigt sich nach langer Zeit der Haft mit seiner Frau Elzbieta und Thomas Wulff beim Begräbnis für Henry Hafenmayer.

 

Szenetreffen von Antisemit*innen, Revisionist*innen und Neonazis

Die Urnen-Beisetzung des justizbekannten Shoahleugners Henry Hafenmayer auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf war ein Szenetreffen von bekannten Antisemit*innen, Revisionist*innen und Neonazis. Viele von ihnen wurden mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt. Unter den rund 55 Versammelten war nicht nur der erst im Oktober 2020 nach einer über 10-jährigen Haftstrafe entlassene Horst Mahler mit seiner Ehefrau Elzbieta Mahler, auch seine frühere Lebensgefährtin, die mit Berufsverbot belegte Rechtsanwältin und selbst wegen Shoahleugnung und Strafvereitelung verurteilte Sylvia Stolz befand sich unter den Trauergästen. Weitere Anwesende waren der Neonazi-Kader Thomas Wulff, mehrfach wegen Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt und der ehemalige Grundschullehrer Nikolai Nerling, der sich auf perfide Veranstaltungen spezialisiert hat, auf denen neben der Präsentation von Volkstänzen und Liedern als vermeintlich deutsches Volksgut, insbesondere der Nationalsozialismus glorifiziert wird. Nerling, der sich den Beinamen „Volkslehrer“ gegeben hat, wurde erst Ende 2020 wegen Leugnung der Shoah in der KZ-Gedenkstätte Dachau der Volksverhetzung rechtskräftig für schuldig gesprochen. Ebenfalls mit einer Gruppe vor Ort war der gewaltbereite, mehrfach verurteilte Thüringer Neonazi Michel Fischer, der für die Kleinpartei „Der Dritte Weg“ politisch aktiv war und sich heute in deren Abspaltung „Neue Stärke“ engagiert. Von der NPD hatten sich der ehemalige Landesvorsitzende Berlin und Mitbegründer der neonazistischen Vereinigung „Deutsches Kolleg“ Uwe Meenen, der Vorsitzende aus Niedersachsen Manfred Dammann, Richard Miosga oder auch Rigolf Hennig eingefunden. Letzterer war Mitglied der internationalen Shoahleugner-Vereinigung „Europäische Aktion (EA)“, die als Nachfolge-Organisation für den „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ (VRBHV) vom Schweizer Shoahleugner Bernhard Schaub gegründet wurde. Die EA versuchte nach einer Großrazzia ihre Aktivitäten mit der Selbstauflösung 2017 zu verschleiern. Weitere wegen Volksverhetzung verurteilte Neonazis waren der zuletzt im Januar 2021 wegen Leugnung der Shoah zu einer Haftstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung verurteilte Gerd Walther und der gerichtsfest bekannte Reichsbürger und Antisemit Dennis Ingo Schulz, der via Youtube neonazistische Propaganda verbreitet. Aus Dortmund waren Pascal Ostholte und Matthias Deyda von der neonazistischen Kleinpartei „Die Rechte“ angereist, so wie sich auch eine Gruppe aus Oberhausen eingefunden hatte. Darunter war Thomas Eckleder, Vorsitzender des Kreisverbands „Die Rechte Duisburg“, der 2019 gemeinsam mit dem hier geehrten Toten Henry Hafenmayer an einem gewalttätigen Angriff auf Antifaschist*innen beteiligt war. Mit Michele Renouf und Peter Rushton nahmen auch Personen der internationalen Revisionist*innen-Szene an dieser Veranstaltung teil. 

Eine bewusste Provokation

Der 1972 in Berlin geborene Hafenmayer war Teilnehmer und Redner verschiedenster neonazistischer Versammlungen und lebte in Oberhausen. Er war Betreiber des Blogs „Ende der Lüge“, wo er antisemitische Pamphlete veröffentlichte und den Nationalsozialismus glorifizierte. Dazu inszenierte er sich gerne auch vor einer Hakenkreuzfahne. Wie viele andere Angehörige dieser Szene, nutzte auch Hafenmayer Gerichtssäle nicht nur als Bühne zur Verbreitung antisemitischer Propaganda, sondern vor allem, um die Grenzen des Paragraphen § 130 StGB (Volksverhetzung) aufzuweichen. Er verstarb laut einschlägiger Kanäle am 11. August nach längerer Krankheit in Süddeutschland.

Die Grabstelle während der Bestattung Hafenmayers und nach Abgang der Neonazis.
Die Grabstelle während der Bestattung Hafenmayers und nach Abgang der Neonazis.

Am Freitag, den 08.10.2021 wurde Hafenmayer in Stahnsdorf bei Potsdam zwei Monate nach seinem Tod auf dem von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) getragenen und wegen seiner Geschichte und den historischen Grabmälern auf der Denkmalliste Brandenburgs stehenden Friedhof beigesetzt. Das Begräbnis wirft Fragen auf – insbesondere weil die Urne des Antisemiten direkt in das historische Grab des 1934 verstorbenen deutsch-jüdischen Musikwissenschaftlers Prof. Dr. Max Friedlaender gebettet wurde. Die Neonazis hielten vor dem Grab Friedlaenders eine Zeremonie mit Reden der wegen Volksverhetzung verurteilten Szenegrößen Horst Mahler, Sylvia Stolz und Thomas Wulff ab. Dazu wurde der alte Gedenkstein des deutschen Juden schwarz verhangen und darauf die persönlichen Daten Hafenmayers angebracht. Auf dem Grab wurden Kränze mit neonazistischer Symbolik drapiert sowie die vermeintliche Wahrheitsfindung Hafenmayers glorifiziert. Konkret bedeutet das: Die Neonazis haben vor einem historischen jüdischen Grab den deutschen Opfermythos zelebriert und die Leugnung der Shoah zum Wahrheitskampf erhoben. Während die schwarze Verkleidung des Gedenksteins nach dem Abgang der Neonazis entfernt wurde, blieben Blumen und Kränze samt der rechten Symbolik liegen. Ein Kranz ist in den Farben schwarz-weiß-rot gehalten und trägt eine gleichfarbige Schleife mit Eisernen Kreuzen. Eine weitere Schleife glorifiziert Hafenmayers Shoahleugnung. Zurückgeblieben ist ein grotesker Ort, der Zeugnis darüber ablegt, wie Neonazis selbst noch im Tod Jüdinnen und Juden verhöhnen.

Wie konnte das passieren? Die EKBO gibt sich bedeckt, jedoch ist offensichtlich, dass die Neonazis die Grabstätte Friedlaenders bewusst ausgesucht haben. Laut EKBO wurde ein zuvor für Hafenmayers Urne gefordertes Grab verweigert, bevor diese in das Grab von Prof. Dr. Friedlaender kam. Blieb es zuerst undeutlich, ob die Vergabe der Grabstelle über ein Patenschaftsverhältnis zu Stande kam, ob die Stelle gekauft oder gepachtet wurde, hat die EKBO mittlerweile bekannt gegeben, dass Friedlaenders Grabstelle abgelaufen war und diese vom Bevollmächtigten Hafenmayers, dem Berliner NPD-Funktionär Uwe Meenen, erworben wurde. Offen bleibt in jedem Fall, warum die Urne von Hafenmayer entgegen der Friedhofsordnung fern von seinem Lebensmittelpunkt bestattet wurde und welche Liegestätte zuvor abgelehnt wurde. (Update 12.Oktober 2021: Hafenmayer hatte kein Anrecht auf Bestattung in Stahnsdorf. Die Verwaltung hat sich entschieden, dem Shoahleugner die Bestattung hier zu ermöglichen, da dieser sich Stahnsdorf gewünscht habe.) Mittlerweile spricht die EKBO von einem Fehler und bedauert die Beisetzung des Shoahleugners Hafenmayer auf der Grabstätte des jüdischen Wissenschaftlers. Gleichzeitig verteidigt sie die grundsätzliche Entscheidung, eine Bestattung Hafenmayers auf diesem Friedhof ermöglicht zu haben, weil “jeder Mensch ein Anrecht auf eine letzte Ruhestätte hat.“ Das mag richtig sein, jedoch klingt hier eine Verharmlosung der Vorgänge durch. Noch mehr, da nun via Telegram ein Bild verbreitet wurde, das zeigt, dass die Neonazis den Antisemiten Hafenmayer nicht nur in das Grab des deutschen Juden Max Friedlaender gesetzt haben, sie konnten ungestört auch die Friedhofskapelle in einen Ort der neonazistischen Heldenverehrung verwandeln.


Das alles ist eine gezielte antisemitische Provokation, die hätte verhindert werden müssen. Laut Beobachter*innen vor Ort muss die Friedhofsverwaltung gewusst haben, was hier am Geschehen war. So war die Trauerfeier in der Kapelle offiziell am Friedhofseingang bekanntgegeben und der Friedhofsverwalter O. Ihlefeldt war selbst vor Ort. Wenn Hafenmayer nicht wieder umgebettet wird, ist es den Neonazis hier nicht nur gelungen eine historische jüdische Grabstätte zu entwürdigen, sie hätten sich auch eine zentral in Deutschland gelegene Pilgerstätte mit hohem Symbolwert gesichert, wo jährlich der deutsche Opfermythos und die Erhebung über Jüdinnen und Juden zelebriert werden könnte. Die EKBO muss handeln und die Grabstätte Friedlaenders auch für die Zukunft schützen. Nur so kann dieser neonazistische Wallfahrtsort noch verhindert und die Symbolik der Vorgänge gebrochen werden. Laut Friedhofsordnung ist die Umbettung von Toten innherhalb einer bestimmten Zeit möglich.

Update 13.Oktober 2021: Mittlerweile haben sich wichtige Stimmen geäußert und der Berliner Antisemitismusbeauftragte Samuel Salzborn hat Anzeige zur strafrechtlichen Überprüfung gestellt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, reagierte fassungslos und sprach von einer Grabschändung, der Bischof Christian Stäblein von einem Kirchenversagen. Die Umbettung Hafenmayers steht im Raum und wird derzeit noch geprüft. Es stellen sich aber weiterhin Fragen, deren Beantwortung zur eindeutigen Einordnung der von Neonazis hier gefahrenen Strategie wichtig sind:

Wie kann es sein, dass die Friedhofskapelle derartig entwürdigt und ungestört in einen neonazistischen Ort der Heldenverehrung verwandelt werden konnte? Welche Reden wurden inhaltlich von den verurteilten Volksverhetzer*innen Horst Mahler, Sylvia Stolz, Thomas Wulff sowohl in der Kapelle als auch an der Grabstätte gehalten? Warum wurde Pressevertreter*innen die Dokumentation der Versammlung sowohl von der Polizei als auch von der Friedhofsverwaltung per Strafandrohung verboten? Laut des Trägers EKBO wusste man, dass hier ein Shoahleugner beerdigt wurde, weshalb man der Polizei Bescheid gesagt und enge Absprachen mit dem Staatsschutz getroffen habe. Anders als vom Friedhofsverwalter O. Ihlefeldt vor Ort behauptet, war das in keinster Weise eine Privatveranstaltung, sondern ein politischer Akt mit deutlich antisemitischer Ausrichtung, was den Verantwortlichen bewusst war. Die unabhängige Dokumentation der Versammlung und Überprüfung der Reden wäre dringend nötig gewesen! Weiterhin stellt sich die Frage, ob der Staatschutz diese Versammlung samt Grabschändung und Entwürdigung der Friedhofskapelle so abgenommen hat und ob Auflagen für diese Versammlung gemacht und durchgesetzt wurden. Wer hat Trauerveranstaltung und Bestattung durchgeführt? Diese wurde laut EKBO nicht von ihnen kirchlich begleitet. Darüberhinaus ist immer noch unbeantwortet geblieben, welche Grabstätte zuerst angefordert, aber verweigert wurde. Die Frage, warum Hafenmayer überhaupt fern ab von seinem Wohnort Oberhausen beerdigt wurde, obwohl sich das Bestattungsangebot laut Friedhofsordnung zuerst an Menschen richtet, “die bei ihrem Tode ihren Wohnsitz im Einzugsbereichs des Friedhofs” hatten, hat sich geklärt. Demnach wurde dem Wunsch Hafenmayers nach Bestattung auf diesem Friedhof nachgegeben. Der Ort wurde vom Antisemiten damit bewusst wegen seiner historischen Bedeutung und zentralen Lage ausgewählt.

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 13. Oktober bearbeitet und um die von der EKBO gemachten Angaben zum Zustandekommen der Vergabe der Grabstelle und den Fragenkatalog ergänzt.