Anselm Lenz wird wegen Gewalttätigkeit gegen Polizeibeamte angeklagt und bestreitet vor Gericht alles. Der Versuch der Inszenierung als vermeintlicher Kämpfer für das Grundgesetz schlägt fehl. Die Aussagen der geladenen Zeugen wiegen schwer und auch das Beweismaterial spricht gegen ihn. Plötzlich fällt auch Lenz aus seiner Rolle. Angesetzt sind voraussichtlich drei Prozesstage.
Am Mittwoch, den 20. Oktober begann der Prozess gegen den Initiator der Hygienedemos Anselm Lenz. Die ihm zur Last gelegten Taten beziehen sich auf einen Zeitraum von April bis August 2020 – einer ersten Phase der Coronademos, die zu einer drastischen und enthemmten Radikalisierung in Teilen der Gesellschaft geführt haben. Hier stand aber nicht der “Widerstand gegen die Coronadiktatur” von Anselm Lenz auf der Anklagebank, sondern Lenz ist im Wesentlichen angeklagt, weil er auf vielfältige Art und Weise Polizeibeamte angegriffen und verletzt hat. Es ist wohl einer der ersten einschlägigen Prozesse gegen einen der Initiatoren der Corona-Demonstrationen. Die Anklage lautet „Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Körperverletzung.“
Im April 2020 habe der Angeklagte Videoaufnahmen von einem Polizeieinsatz an seiner Wohnanschrift gemacht und diese anschließend veröffentlicht, sowie Aufnahmen von LKA Beamten ins Netz gestellt, die ihn zwecks Gefährderansprache aufgesucht hatten. Dann habe er auf einer frühen Hygienedemo vom 1. Mai 2020 Bündel seiner Zeitschriften auf Polizisten geschleudert und sich anschließend der Feststellung seiner Personalien durch Flucht in ein Taxi zu entziehen versucht. Bei einer Kundgebung im Mauerpark am 30.08.2020 habe er außerdem zum Mord an Angela Merkel aufgerufen und ein Kopfgeld ausgesetzt. Beim Versuch der Einsatzkräfte, seine Personalien festzustellen, habe er sich derart gewehrt, dass er unter anderem einem Polizisten die Nase blutig geschlagen habe.
Als Lenz am ersten Prozesstag den Verhandlungsvorraum betritt, fixiert er die anwesenden Pressevertreter*innen und fotografiert diese erst mal ab. Die Aufnahmen werden später im Netz landen. Er tritt gewollt bürgerlich auf, hat sich ein Tuch um den Hals gewickelt und sich in einen langen Mantel gehüllt. Auf dem Kopf trägt er eine Fedora, eine Maske dagegen nicht. Das gewollt bürgerliche und schneidige Auftreten wirkt in dem 80er Jahre Beton-Justizbau wie aus der Zeit gefallen. Heute wird der Raum keine Bühne für Inszenierungen von Selbstdarstellern sein.
Vor Gericht wirkt Lenz entgegen seiner bemühten Überheblichkeit ungeordnet, reiht in seiner einzigen längeren Redezeit Anekdoten aneinander, die ihn als arglosen und bekannten Künstler, Dramaturgen, Schriftsteller, Zeitungsverleger und Kämpfer für das Grundgesetz präsentieren sollen. Die Strategie, den Prozess für seine Selbstinszenierung und Propaganda zu nutzen, zeigt sich bereits vor Beginn der Verhandlung: Als kurz Platz für Journalist*innen ist, den Angeklagten zu fotografieren, erhebt dieser sich und hält sich ein Grundgesetz vor die Brust. Es ist das Bild, das dann auch in Medien zu sehen sein wird. Anselm Lenz ist aber nicht als Verteidiger des Grundgesetzes angeklagt, sondern als Gewalttäter. Selbstverharmlosung ist das gute Recht eines jeden Angeklagten.
Verhandelt werden an diesem ersten Prozesstag nur die Ereignisse, die sich im Mauerpark abgespielt haben. Sein Anwalt lässt wissen, dass Lenz sich keiner Straftat schuldig gemacht habe. Vielmehr beruft er sich auf die Kunstfreiheit, denn es habe sich nur um ein „satirisches Spektakel“ gehandelt. Den Vorwurf, zum Mord auf Angela Merkel aufgerufen zu haben, bestreitet er. Lenz habe lediglich künstlerisch auf Christoph Schlingensief angespielt, was durchweg deutlich gemacht worden sei. Insgesamt habe sich Lenz angemessen verhalten, sei aber rabiat und unverhältnismäßig behandelt worden. Der Anwalt von Lenz versucht sich hier an einer Entpolitisierung des Polit-Aktivisten Anselm Lenz, der seit April dadurch auffällt, dass er mit schiefen Gleichsetzungen und Superlativen die Grenzen des Sagbaren verschiebt. Antisemitische Verschwörungs- und Opfererzählungen gehören genauso in sein Repertoire wie maßlose Vergleiche der Bundesrepublik mit dem Nationalsozialismus, der DDR oder Verhältnissen wie in Belarus, Myanmar und China. Antifaschist*innen verkehrt er zu Faschist*innen, Kritik zu Antisemitismus und insgesamt ist er im Umgang mit politischen Gegner*innen nicht zimperlich. Immer wieder ruft er auf Kundgebungen dazu auf, Politiker*innen an ihren Privatanschriften zu besuchen. Im Frühjahr 2020 gab er bekannt, Asyl in Schweden beantragt zu haben, weil er wegen seines antifaschistischen Engagements politisch verfolgt würde. Gemeint war die Durchsetzung der da geltenden Pandemiebestimmungen. Mittlerweile ist Lenz in extrem rechten Kreisen verankert. Er ist nicht nur Gast bei COMPACT TV oder lässt sich live in das Wohnzimmer-Studio des Schweizer Neonazis Ignaz Bearth hinzuschalten, er tritt auch auf Kundgebungen mit Protagonist*innen der extremen Rechten auf. In der Folge seines politischen Engagements inszeniert er sich als Opfer von Folter und prophezeit neue Nürnberger Prozesse, die einen propagierten Umsturz besiegeln würden – eine dreiste Relativierung des Nationalsozialismus. Auch sein Anwalt ließ sich vor Gericht darauf ein, den vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zum Sonderberichterstatter über Folter ernannten Nils Melzer zur Beurteilung des hier verhandelten Polizeieinsatzes hinzuziehen. Die Richterin zeigte sich geduldig, aber unbeeindruckt von den Ausführungen. Die Strafprozessordnung gibt einer Gerichtsverhandlung einen strengen Rahmen vor. Nach der Anklageverlesung erfolgt die Beweiserhebung und damit das Ringen um Beweise und der Versuch, die Zeugen der Staatsanwaltschaft ins Schwimmen zu bringen.
Die Zeugen, drei junge Beamte der Berliner Polizei, die an dem Einsatz im Mauerpark beteiligt waren, widersprechen den Darstellungen des Anwalts. Ihre Ausführungen geben Zeugnis darüber ab, wie sich aus einer banalen Personenüberprüfung ein Tumult ereignete, in dem Lenz “Diktatur” und nach Kameras schrie, um sich dann fallenzulassen und sich als Opfer von Polizeigewalt aufzuspielen. Videoaufzeichnungen stützen diese Darstellung. Sie zeigen eine Personengruppe, die die Polizei umringt, “Faschismus” und “He is a Journalist” schreit, und wie die Polizei einen sich auf dem Boden windenden und um sich schlagenden Lenz mit den Händen auf dem Rücken zum Polizeifahrzeug tragen muss. Einem Polizisten schlug Lenz dabei mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser eine blutende Nase davontrug. Anders als behauptet war die Polizei auch nicht vor Ort, um die Versammlung zu unterbinden, wie es sich in einer Diktatur abspielen würde. Sie war da, um den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu sichern. Erst die Aufforderung “Tötet Angela Merkel” und “Ich setze ein Kopfgeld aus” habe diese aktiv werden lassen und dazu angehalten, derartige Ausrufe, die von den Anwesenden bejubelt worden seien, unterbinden zu wollen. Polizeigewalt ist real, aber diese Ereignisse haben das Format, Polizeigewalt zu verharmlosen und damit berechtigte Kritik lächerlich zu machen.
Lenz nahm die Ausführungen wortlos und unbewegt hin, zeigte sich stolz und unnahbar, bis ein Video aus dem Umfeld des KDW-Aktivisten vorgeführt wurde, das sein theatralisches Umherschlagen, Treten, Boxen gegen Polizeibeamte zeigt. Da fiel er im Gerichtssaal aus seiner Rolle und rief der Richterin zornig entgegen: “Wir vergeben nicht, wir vergessen nicht. Wir sind Millionen”. Sein Anwalt geriet hier kurz aus der Fassung und hielt seinen Mandanten an, den Mund zu halten, muss ihm doch bewusst geworden sein, dass die gewählte Strategie einer von der Polizei brutal niedergeschlagenen künstlerischen Darbietung hiermit gebrochen war. Im Saal gab es keine Reaktion. Es waren auch keine Millionen zur Unterstützung von Lenz gekommen, er saß alleine vor Gericht, ohne Solidarität irgendwelcher Mitstreiter*innen oder Unterstützer*innen. Der Prozess wird im November fortgesetzt. Das Strafmaß, das Lenz im Falle einer Verurteilung zu erwarten hat, umfasst eine Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Der “Menschenrechtsanwalt” Hans-Eberhard Schultz
Welches konkrete Strafmaß sich am Ende ergibt, wird vom Geschick des Anwalts Hans-Eberhard Schultz abhängen, der durchaus kein Unbekannter ist. Dieser hat eine linke Sozialisierung und gehörte der Studentenbewegung an. Zeitweise war er Teil der Kommune 2, die in der Giesebrechtstraße 20 eine Wohngemeinschaft von vier Männern, drei Frauen und zwei Kleinkindern im Alter von drei und vier bezeichnet. Die hier propagierte Befreiung von der bürgerlichen Gesellschaft, freie Liebe und sexuelle Entfaltung machte auch vor den Kindern nicht halt. Nachzulesen sind diese detailliert beschriebenen Einlassungen im von Hans Magnus Enzensberger 1969 herausgegebenen “Kursbuch”.
Heute teilt Schultz sich eine Bürogemeinschaft mit der Rechtsanwältin und BDS-Aktvistin Nadija Samour. Der Sitz befindet sich im Haus für Demokratie und Menschenrechte. Samour verteidigt nicht nur Aktivist*innen, die einen vermeintlichen Apartheidstaat bekämpfen, darunter z.B. die ehemalige PFLP Terroristin Rasmea Odeh, sie tritt auch als Moderatorin und Workshop-Leiterin auf Veranstaltungen auf, die den Staat Israel einseitig verurteilen. Diese Bürogemeinschaft ist kein Zufall. Vielmehr ist hiermit offensichtlich auch Schultz’ eigene politische Heimat skizziert.
Schultz ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der “Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation” und Vorstandsmitglied des Vereins “Internationale Liga für Menschenrechte”, der seit 1962 die Carl-von-Ossietzky-Medaille vergibt. Schwerpunkt seiner Arbeit ist unter anderem Antirassismus, und damit die Frage nach dem Aufenthalts- und Asylrecht. Das ist ehrenvoll, ist aber spätestens dann kritisch zu hinterfragen, wenn Antisemit*innen und Islamist*innen verharmlost werden und Kritik zu Rassismus verdreht wird. Das ist hier offenbar der Fall.
Schultz vertritt als Rechtsanwalt diverse antiemanzipatorische Aktivist*innen, darunter zum Beispiel den extremen Antisemiten, Antizionisten, Verschwörungsideologen und Verantwortlichen der israelfeindlichen Quds-Märsche in Berlin, Jürgen Grassmann. Daneben streitet er für die Rechte von Hamas-Anhänger*innen, Salafisten, Anhänger*innen der PFLP, die für ihn offensichtlich zu schützende Gruppen sind, deren Aktivitäten als bloße Meinungsäußerung verteidigt werden. Die unmittelbare Gleichsetzung eines Davidsterns mit dem Hakenkreuz auf einem Plakat eines palästinensischen Demonstranten bezeichnete er in einer Presseerklärung 2009 als Protestform, die “eindeutig gegen nationalsozialistisches Unrecht und ähnliche Kriegsverbrechen heute” gerichtet und von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Noch 2019 brüstete er sich als Redner einer der Hamas nahestehenden Veranstaltung in Berlin, diesen Prozess gewonnen zu haben. Als Rechtsanwalt setzte er sich für die Aussetzung von Versammlungsauflagen ein, die zum Beispiel Fahnen, Symbole oder Solidaritätsbekundungen mit der Hamas zeigen. Auch das Bestreben, die in Frankfurt ansässige salafistische Gruppierung „DawaFFM“ zu verbieten, ließ Schultz aktiv werden. Über den Kopf der Gruppe, den Prediger Abdellatif Rouali, schreibt Schultz:
“Die Vorträge des Imams Rouali dienen der Aufklärung über den Islam und keiner „Missionierung im Sinne des Salafismus“.
Die Kläger lehnen es ab, als „Salafisten“ denunziert zu werden, weil es sich hierbei um ein Konstrukt westlicher Geheimdienste handelt, das wissenschaftlich unhaltbar ist, und sie sich auch nicht als „Fundamental-Islamisten“ sehen oder bezeichnen.” (Quelle: Webseite Schultz)
Erwähnenswert an dieser Stelle ist auch, dass der “Verein Internationale Liga”, in dem Schultz als Vorstand agiert, selbst eng mit jüdischen Organisationen verstrickt ist, die BDS nahe stehen und Antisemit*innen und Antizionist*innen als Kronzeugen dienen. Da wäre zum Beispiel die “Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost”, die zu Boykottaktionen aufruft und sich explizit mit dem BDS-Gründer Omar Barghouti solidarisiert.