Auf einer MMA-Veranstaltung am Sonntag in Rostock trat der extrem rechte Hooligan Benjamin Brinsa als Trainer zweier Kämpfer auf, einer gilt als dessen Ziehsohn. Über ihre Gyms gibt es kaum Informationen, sie scheinen nicht zu existieren. Ist das eine neue Strategie?
Die Decke ist mit weiß-blauen Girlanden festlich geschmückt. Auf den Bierbänken stehen Weißbiere in Maßkrügen und Gin-Tonic-Gläser. Junge Frauen und Männer laufen in Dirndl und Lederhosen hin und her und stellen Haxen auf die Tische vor das breitschultrige Publikum. Viele tragen Szenekleidung aus dem Hooligan-, Rocker- oder Neonazi-Milieu. Wir sind im Oktoberfestzelt im Stadthafen Rostock.
Hier fand am 23. Oktober 2022 das Kampfsport-Event Cage Fights statt. Diese Mixed Martial Arts (MMA) Veranstaltung lockte an diesem Sonntagnachmittag rund 1.000 Fans in das Festzelt, die den insgesamt 22 Duellen beiwohnen wollten. Auch im Nachhinein gibt sich das Kampfsportevent harmlos. Die Veranstalter bedanken sich via Instagram bei den Sponsoren – dazu gehört auch Karls Erdbeerhof – und loben die Fairness der Kämpfer*innen: „[…] sehr sportlich faire Männer u Frauen die sich erst die Nase blutig hauen und danach friedlich in den Armen liegen.“ (sic!)
Insgesamt standen sich 40 Kämpfer und vier Kämpferinnen an diesem Nachmittag im achteckigen Käfig gegenüber und trugen Kämpfe in MMA und Thaiboxen aus. Beim MMA treffen verschiedene Disziplinen aus dem Stand- und Bodenkampf aufeinander. MMA ist einerseits von großem gegenseitigem Respekt und einem starken Fairness-Gedanken geprägt. Andererseits ist diese Sportart besonders unter rechtsextremen jungen Männern beliebt, da MMA dem Kampf auf der Straße sehr nahekommt. Sie trainieren hier für den realen Kampf gegen den politischen Gegner. Die Missbrauchsgefahr in dieser Sportart ist daher groß. Rechtsextreme Kämpfer*innen, Trainer*innen und Gyms müssten hier konsequent ausgeschlossen werden.
Benjamin Brinsa als Art Trainer vor Ort
Einer der bundesweit bekanntesten extrem rechten Hooligans trat an diesem Nachmittag offenbar als Trainer zweier Kämpfer auf: Der 1989 geborene Benjamin Brinsa stammt aus Wurzen und blickt auf eine langjährige Karriere in der gewaltbereiten Neonazi- und Hooligan-Szene des 1. FC Lokomotive Leipzig, Lok Leipzig, zurück. Brinsa war selber einmal MMA-Kämpfer. Kurz nachdem er 2013 beim größten MMA-Promoter, der UFC, seinen Vertrag unterschrieben hatte, kündigte das US-Unternehmen die Bindung zu Brisa wegen dessen langjähriger Szene-Biografie wieder auf.
Brinsa ist eine der zentralen Figuren vom Imperium Fight Team, jenem Gym, das wie Brinsa aus der extrem rechten Hooliganszene von Lok Leipzig stammt und als Paradebeispiel für die Verflechtung von organisierter Fußballfan-Szene, extremer Rechte und Kampfsport in Deutschland gilt. Gegen mehrere Kämpfer des Teams wurde Anklage erhoben, weil sie im Januar 2016 am größten organisierten Neonazi-Angriff der letzten Jahrzehnte im Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt gewesen sein sollen. Brinsa förderte mit seinem Coaching im Imperium Fight Team sowohl rechte Hooligans, organisierte Neonazis und Aktivist*innen der extrem rechten „Identitären Bewegung“. Er strebe zudem an, diese Mischung salonfähig zu machen, so beschrieb es das Recherchekollektiv Runter von der Matte 2019.
Der Versuch von Imperium und seinen führenden Köpfen, eine eigene MMA-Veranstaltungsreihe mit aufzubauen, das Imperium Fighting Championship, scheiterte ebenfalls am Ruf, eine rechtsextreme Szeneveranstaltung zu sein. Hier sollte ein Format etabliert werden, in dem die rechte Kampfsportszene fester Bestandteil war.
Trainierenden und kämpfenden Neonazis geht es nicht darum, sich für den nächsten sportlichen Wettkampf fit zu machen, sondern um die Verknüpfung einer nationalistischen, menschenfeindlichen Ideologie, die gegenüber vermeintlich politischen Gegner*innen Stärke demonstriert und diese unterdrücken will. Wettkämpfe und Trainings können als Schulung begriffen werden, in denen der Ausbau einer „Wehrhaftigkeit“ forciert wird. Mit „Wehrhaftigkeit“ meinen Neonazis nicht nur die Fähigkeit, sich im Schlagabtausch behaupten zu lernen. Sie beziehen sich in ihrer Vorstellung vielmehr auf den gewaltvollen „Schutz“ zur „Verteidigung“ von „Rasse, Volk und Heimat“.
MMA Rostock im Oktoberfestzelt
Als Veranstalter der am Sonntag erstmals stattfindenden Cage Fights trat das rechtsoffene Kampfsportstudio MMA Rostock auf. Das Gym, das laut Vereinsregister 2017 gegründet wurde, aber in keinem der beiden größten Fachverbände für MMA in Deutschland eingebunden ist, versucht mit diesem Event, eine wiederkehrende Veranstaltungsreihe zu etablieren. In den Räumen von MMA Rostock trainieren offenbar auch Personen aus dem extrem rechten Milieu. Verbindungen gibt es auch in die rechte Hooligan-Szene.
Ein Trainer des Gyms ist ein Marinesoldat, der sich in der Vergangenheit auf Social-Media-Kanälen auch in Kleidung der Marke „Label 23“ präsentierte – einer einschlägigen Marke aus dem extrem rechten und gewaltbereiten Cottbuser Neonazi-Milieu. Ein entsprechendes Publikum fand sich auch an diesem Sonntag auf dem Cage Fights-Event ein.
In Oktoberfest-Atmosphäre mit lauter Schlagermusik saßen breitschultrige Männer mit kurzen Hälsen und spannenden T-Shirts auf Holzbänken, sie bestellten überteuerte Getränke und Fastfood. Im Außenbereich maßen sich bullige Männer an einem „Hau-den-Lukas“-Automaten. Währenddessen kämpften die Fighter*innen in einem Metallkäfig, der mittig im Festzelt aufgebaut war. Zwischen den Runden kam eine Person in das umzäunte Oktagon, um den Boden vom Schweiß und Blut des vorigen Kampfes mit einem Wischmopp zu reinigen – Eine Sicherheitsmaßnahme, die Kämpfer*innen sind barfuß und sollen auf Flüssigkeiten nicht ausrutschen.
Trotz der Brutalität der Kämpfe waren ganze Familien vor Ort. Ein knappes Dutzend Kinder, davon auch welche im Kinderwagen und Tragetuch. Taschenkontrollen, wie man sie bei jedem Fußballspiel erlebt, gab es nicht. Rechtsextreme Szenekleidung und deren Symbole waren allgegenwärtig, wie auch Symbole der Hells Angels, darunter der Szene-Code 81, der jeweils für die Buchstaben HA steht. MMA Rostock, wie auch das Event Cage Fights, entstammt einem stark von Hooligans und Hells Angels geprägten Milieu.
Der Rechtsextremismusexperte und Szene-Beobachter Robert Claus merkt dazu an, dass diese Veranstaltung ein Paradebeispiel für die Vermischung verschiedener Szenen ist. „Auf der Cage Fights wurde das Geflecht aus Neonazis und organisierter Kriminalität einmal mehr sichtbar. Beide Szenen zeichnen sich durch männerbündische Gewaltverherrlichung aus und versuchen, sich zu professionalisieren.“ Wir haben es hier mit einem Milieu zu tun, so Claus, „das jederzeit zu diversen Gewalttaten fähig und willens ist.“ Immer häufiger berichten vor allem antifaschistische Recherche-Kollektive von einer zunehmenden Kooperation zwischen militanten Neonazis und organisierter Kriminalität. Ein prominentes Beispiel: die „Turonen“, eine gewaltbereite neonazistische Bruderschaft aus Thüringen. Daneben gibt es das undurchsichtige Milieu in Cottbus, die „Steeler Jungs“ in Essen oder die kriminellen Rocker der sogenannten „Onepercenter“, die sich geltenden Gesetzen zu entziehen versuchen.
Angekündigt waren an diesem Sonntag in der Hansestadt mehrere Kämpfer, die aus dem Neonazi-Milieu kommen. Unter ihnen ein Rostocker und ein Hooligan aus Cottbus, wobei der Cottbuser an diesem Tag nicht antrat. Andere Kämpfer trugen sichtbar rechte Tattoos auf ihren Körpern, darunter auch Kämpfer des veranstaltenden Gyms MMA Rostock. Auch das Gym La Familia Halle stand mit einigen Kämpfern auf der Fightcard.
Das Gym La Familia Halle steht wegen seiner vielen Verflechtungen in die extreme Rechte stark in der Kritik. Hier trainierten nicht nur diverse Neonazis und gewaltbereite Hooligans, selbst unter den Ausbildern waren rechte Hooligans vertreten. Einer ihrer Trainer wurde wegen Mitgliedschaft beim „Jungsturm“, einer als kriminelle Vereinigung eingestuften Hooligan-Gruppe um den FC Rot-Weiß Erfurt, sowie wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch rechtskräftig verurteilt. Er sitzt derzeit eine Haftstrafe ab.
Auch der Hauptkämpfer und Gewinner des Abends trat für La Familia Halle an – ein aus dem Irak stammender Mann, der mit einer irakischen und einer Deutschlandfahne in seinen Kampf einlief und von einer großen Fangemeinschaft begleitet wurde. Fotos, die der Redaktion vorliegen, zeigen, dass es offenbar eine lange freundschaftliche Verbundenheit zwischen Imperium und La Familia Halle gibt.
Neue Strategie des Imperium Fight Teams?
In der deutschen rechtsoffenen Kampfsportlandschaft hat das Imperium Fight Team um Brinsa eine Schlüsselfunktion. Mehrere Kämpfer dieses Gyms sind wegen gewalttätiger Angriffe in der Vergangenheit bekannt geworden, darunter der Angriff auf den Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016, sowie die rassistische Attacke auf einen Schwarzen Türsteher auf Mallorca 2019.
Benjamin Brinsa selbst, der den Kampfnamen „The Hooligan“ führte, fiel immer wieder durch Bedrohungsszenarien und Gewaltdelikte auf. Anfang 2018 war er mutmaßlich an einem Versuch beteiligt, schwer bewaffnet eine Gruppe von Journalist*innen anzugreifen, die eine antifaschistische Demonstration begleiteten. Wenn das Imperium Fight Team Kämpfer auf MMA-Veranstaltungen schickt, werden berechtigterweise schnell kritische Einwände publik, die die Gewaltaffinität und Verstrickungen in die extreme Rechte problematisieren. Für die breite Öffentlichkeit und für konsumorientierte MMA-Veranstaltungen scheint das Imperium Fight Team damit ein verbranntes Eisen zu sein.
Unter diesem Aspekt ist es interessant, dass Benjamin Brinsa mit zwei Kämpfern im Rostocker Oktoberfestzelt aufschlug, die beide unter unbekannten Gym-Namen in den Käfig stiegen. Einer davon ist Paul Günther: blasse Haut, schlanke Statur, zwei große Tattoos auf der Brust, rasierter Kopf. Der Mann trat als Teil eines Gyms mit dem Namen MTL MMA auf. MTL ist die Abkürzung für Muldenthal, der Landkreis, in dem Brinsas Wohnort Wurzen liegt. Auch Günther kommt aus dem sächsischen Wurzen – einem Ort, in dem eine rechtsextreme Dominanz die demokratische Zivilgesellschaft malträtiert und in dem Brinsa 2019 für die als Bürgerinitiative getarnte extrem rechte Vereinigung „Neues Forum Wurzen“ in den Stadtrat einziehen konnte.
Paul Günther von MTL MMA trat im Sommer 2019 in seinem Debüt-Kampf bei der Power FC Night in Hannover unter „Team Brinsa“ an. Szenebeobachter*innen beschreiben Günther als eine Art Ziehsohn von Brinsa. Zudem sei er in der Vergangenheit bereits durch rechtsextreme Aktivitäten aufgefallen. Bilder, die der Redaktion vorliegen, zeigen Günther 2019, wie er gemeinsam mit anderen Personen aus der rechtsextremen Lok Leipzig-Szene den Hitlergruß zeigt. Im selben Jahr war Günther Teil einer Wurzener Fußball-Fangruppe, aus deren Kreisen nach einem Hochsicherheitsspiel eine zivilgesellschaftliche Einrichtung angegriffen wurde. Ein Bild zeigt Günther 2019 mit blutigem Gesicht an der Seite von Brinsa. Er trägt dabei ein T-Shirt vom Imperium Fight Team.
Der andere Kämpfer: Nikolaj Burger, ein Mann, über den erstaunlich wenig zu erfahren ist. Er trat unter Eastside MMA in den Kampf. Auch über dieses Gym sind keine Informationen zu finden. Ein extrem rechter Motorradclub mit besten Kontakten ins kriminelle Milieu, dessen Mitglieder größtenteils aus der Hooligan-Szene von Lok-Leipzig kommen, in die auch Brinsa verstrickt ist, nennt sich „Eastside Rowdys“. Das ist jene Gruppe, vor der die Schlagersängerin Melanie Müller Mitte September offenbar nach „Sieg Heil“-Rufen aus dem Publikum den Hitlergruß zeigte. Nimmt der Name Eastside MMA vielleicht Bezug zur Gruppe „Eastside Rowdys“?
Am Gebaren und am Platz von Brinsa auf der Trainer-Bank vor dem Käfig war offensichtlich, dass der Wurzener die beiden Kämpfer in der Funktion eines Trainers begleitete. Dass über die Gyms von Günther und Burger keine weiteren Informationen zu finden sind, ist seltsam. Es gibt weder eine Webpräsenz noch sonst welche Einträge zu diesen Trainingsstätten.
„In den letzten Jahren gab es wiederholt mediale Kritik an der Verpflichtung von Kämpfern von Imperium Leipzig“, erklärt Robert Claus, der für das Projekt „Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport“ arbeitet. „Das Vorgehen in Rostock scheint eine Strategie der Tarnung zu sein. Man verschleiert die Herkunft der Kämpfer, in dem man sie unter nicht existierenden Gym-Namen antreten lässt und vermeidet damit kritische Meldungen.“ Das ändere aber nichts daran, dass Benjamin Brinsa eine prominente Figur der extrem rechten Hooliganszene sei, so Claus weiter. Dass der Veranstalter MMA Rostock über keinerlei Informationen zu Brinsa verfügte, ist kaum glaubwürdig. Eine Presseanfrage, ob und wie die Gyms der Kämpfer*innen der Cage Fights im Vorfeld geprüft wurden, ließ MMA Rostock bisher unbeantwortet. Stattdessen folgte auf Social Media ein kommentarloser Block.
MMA Rostock hatte im Vorfeld mehrfach betont, einen sportlichen Wettkampf auszuführen und für Demokratie und Toleranz einzustehen. Wenn Brinsa hier aber in der Funktion eines Trainers in die Veranstaltung eingebunden ist und seine Kämpfer unter Tarnnamen in den Kampf schicken kann, ist das ein krasser Widerspruch und spricht für eine Strategie der Selbstverharmlosung.
Im Video: Benjamin Brinsa in der Rolle eines Trainers in Rostock
Dieser Text ist eine Zusammenarbeit mit Samira Alshater und erschien zuerst bei Belltower.News – Netz für digitale Zivilgesellschaft